„Gegen den Strom“? „Repräsentant“ ohne Legitimation und Kulturfunktionär im Auftrag

 

Da jede Medaille zwei Seiten hat und die komplexe Existenz eines Menschen in schwieriger Zeit viele Facetten aufweist, kann, je nach veränderter Perspektive, auch das hervor gekehrt werden, was andere nicht sahen.

Es gab viele Möglichkeiten und Gründe, zum Kollaborateur zu werden und sich in individuelle Schuld zu verstricken, vor allem dann, wenn man erpressbar war. Und Schriftsteller und Dichter, die ihre Werke veröffentlicht sehen wollten, waren – viele Beispiele verweisen darauf – tatsächlich erpressbar.

In den Augen seiner damaligen Gefolgsleute und Anhänger war Berwanger ein sozialistisches Vorbild; eine Person, die sich aus einfachen Anfängen heraus auf der vielversprechenden Welle des Antifaschismus mit Parolen in eine soziale Stellung hochgedient hatte, die ihm Ehre und Macht verlieh; die ihm – im Rahmen einer tolerierten Narrenfreiheit – auch die Möglichkeit bot, „einiges für das Deutschtum in der Region zu tun, speziell für die Beibehaltung der deutschen Sprache und der deutschsprachigen Literatur.“

Einiges an guten und nützlichen Dingen hat Berwanger sicherlich auch bewirkt und umgesetzt, doch um welchen Preis? Manche, die ihm näher standen und auch den Kulturbetrieb der Stadt näher kannten, unter ihnen seine Protegierten und Mitarbeiter bei der NBZ, die heute allesamt in der Bundesrepublik leben, könnten und sollten, schon aus historischen Überlegungen heraus, seine Taten ansprechen und seine eventuellen Meriten aus heutiger Sicht bewerten. Reden wir doch darüber, was er „angerichtet“ hat!

Ein kleines Symposion zu dem Thema „Berwanger“ beim IKGS in München, dessen Essenzen eigentlich veröffentlicht werden sollten, brachte laut Presse nicht viel Neues. Das Thema wird nach wie vor kontrovers diskutiert.

Je nach Interessenlage wurde auch ich in den letzten Jahren kräftig munitioniert – von beiden Seiten, wobei es an gegenseitigen Verfehlungen und Schuldzuweisungen nicht mangelte. Der vielsagende und in manchen Punkten erhellende Briefwechsel Berwangers mit früheren „Genossen“ und Freunden – etwa mit Dieter Schlesak – verstaubt noch unausgewertet in den Literaturarchiven. Anderes unterliegt dem Datenschutz – Nahrung für neue Mythen.

Mir erschien Berwanger seinerzeit im Jahr 1978 aus meiner systemkritischen und deshalb nicht gerade objektiven Sicht nur als ein Typus, den die Rumänen „lichea“ nennen, als ein saturierter Bonze und ein systemtreuer Opportunist, der auch als willfähriger Literaturfunktionär agierte. Als solchen hat ihn selbst Richard Wagner in „Ausreiseantrag“ skizziert. Wagner, damals serviler Untertan seines Herrn, müsste es genau wissen. Er, der Lyriker, diente ihm, dem Chef, dem Chefredakteur und Mundartdichter, als Chauffeur!

Nur Berwanger heute posthum gar als „Schwimmer gegen den Strom“ stilisieren zu wollen, was auch schon erfolgt ist, übersteigt jedoch jeden Realitätssinn, jeden guten Geschmack, ist hochgradig absurd, eine Verhöhnung all jener, die unter solchen Handlangern der Diktatur bis in die Gefängnisse hinein zu leiden hatten.

Wenn Berwanger „gegen den Strom“ schwamm – wogegen schwamm ich dann selbst in meinem jahrelangen Ankämpfen gegen Totalitarismus und kommunistische Diktatur?

Etwas Aberwitzigeres lässt sich dem Titel dieses Buches „Gegen den Strom“ kaum noch entgegenstellen!?

Berwanger, der, mit einem sehr bescheidenen Talent ausgestattet, selbst dichtete, menschlich sogar jovial und bisweilen vielleicht sogar integer sein konnte, war jedoch nicht nur ein serviler Zuträger des Systems und ein Literaturverwalter. Er war darüber hinaus – und das wird oft vergessen – ein „waschechter kommunistischer Politiker deutscher Nationalität“ mit klar definierten Aufgaben. Er war ein klarer Funktionsträger und der beratende Ansprechpartner der Kommunistischen Partei schlechthin, wenn es um Minderheitenangelegenheiten der Deutschen im Banat ging und Fragen, die uns alle betrafen, auch jenseits der Literatur und Kultur. In dieser Eigenschaft, das wussten wenige und vergaßen nach dem Umsturz viele Zeitgenossen, griff er direkt in die Existenz seiner donauschwäbischen und Temeschburger Landsleute ein und bestimmte ihr Schicksal mit.

Für die von ihm wahrgenommenen Aufgaben, die deutsche Minderheit im Banat kulturell und indirekt auch politisch zu vertreten, hatten viele ehemalige Banater überhaupt kein Verständnis, da sie zu keinem Zeitpunkt demokratisch legitimiert war.

Mit den Wölfen zu heulen war eine Haltung, die vielen einfachen Menschen zutiefst fremd war, da das Mitjaulen nur den Schrecken verstärkt, den das Rudel verbreitet. Für mich, den politisch wie historisch Festgelegten, waren „Charaktere“, die „ihre Identität“ preisgaben, um ehrgeizig Karriere zu machen und ihre Selbstverwirklichung zu betreiben nicht mehr als seelenlose Vehikel der Macht, Marionetten im Tanz, die um den Despoten Ceauşescu rotierten.

Berwanger, dessen angebliche „antifaschistische Haltung“ ich durch keine entsprechenden Taten belegt und bestätigt sah, war nur einer unter den sanktionierenden Stützen des Systems – und er lebte gut dabei. Die Partei dankte es ihm und den anderen in ähnlicher Position mit Privilegien aller Art.

Immer wenn ich seinerzeit als Jugendlicher über diese Ungerechtigkeiten nachdachte, kam Wut auf und heftige Erregung. Verrat aus den eigenen Reihen? Da rebellierte es in mir. Doch Berwanger war nicht nur Journalist, Berufsantifaschist, Mundartdichter und Politiker; er war ein Tausendsassa und – man mag es gar nicht aussprechen – er repräsentierte sogar die „Kultur“ in der Region. Er, das Proletarierkind aus dem Zuckerfabrikhof in Freidorf, bestimmte über die Kultur eines ganzen Raumes, schlechthin über unsere Köpfe hinweg, selbst den Gang des Geistes in den Köpfen bestimmte er mit. Als Kultur-„Macher“ war er mir vor allem deshalb unerträglich, weil er, ähnlich der Schlange im Paradies, als verkappter Kulturimperialist auftrat, der andere, vor allem junge Künstler, die sich noch nicht festgelegt hatten, verlockend korrumpierte, einen Köder einsetzend, den die Partei genehmigt hatte.

Im Umfeld, wo er mir begegnete, kam ihm die von den Oberen auferlegte Aufgabe zu, den losen Kreis kreativer Menschen, die dichteten und schrieben, an sich zu ziehen, ihn zu binden und ihn so zu instrumentalisieren, dass von seinen Mitgliedern keine geistige Gefahr mehr ausgehe. Mich wunderte es nur, wie gerne die „sonst so kritischen Geister“ dem „Rattenfänger“ folgten.

Zuviel Macht war in seiner Person gebündelt. Er stand dem „Adam Müller Guttenbrunn-Kreis“ vor und bestimmte über diesen die Literaturpolitik der Region. An ihm vorbei konnte kaum ein Schriftsteller debütieren. Er war früher Lektor, Liktor und Zensor zugleich. Er war der Mann mit der großen Schere, von dem Heine spricht, er war der Metternich Lenaus. Er war die Kontrollinstanz, die das „Plazet“ aussprach, der allem seine Weihe und damit die indirekte Sanktion der Partei gab.

Während meiner seltenen Begegnungen mit diesem selbst ernannten Mäzen kam es zu keinen Erkenntnissen mit nachhaltiger Wirkung. Kurz:

Berwanger beeindruckte mich nicht, da er nur durch seine Position präsent war, nicht aber als Persönlichkeit von Format. Vielmehr scheute ich ihn, da mir nichts einfiel, was ich mit ihm hätte erörtern können, ohne zu heucheln und ohne mich selbst verbiegen zu müssen.

Weshalb ich ihm und dem Kreis meine damals verfassten Texte vorenthalten habe, fragt man mich heute? Was hätte ich damals im Dialog erörtern können oder sollen?

Mein „antistalinistisches Zeitromanprojekt“ vielleicht, „Die Flucht in die Heimat“, in welchem es um stalinistische Geschichtsschreibung und primär um die Verbrechen der Roten ging, um den Genozid an Deutschen?

Wie hätte Berwanger das unzeitgemäße und ketzerische Werk aufgenommen? Hätte er geschwiegen?

Oder hätte er doch gleich diskret zum Telefon gegriffen und kurz Hauptmann Pele oder Major Köppe von der „Securitate“ informiert, im typisch vorauseilenden Gehorsam und als potenzielle Empfehlung? Solch ein Risiko konnte ich nicht eingehen. Mir fehlte einfach das Vertrauen. Nie konnte ich herausfinden, ob er wirklich integer war.

Als „Mann des Systems“ unterhielt Berwanger exzellente Kontakte zum Geheimdienst „Securitate“, namentlich zu ihrem damaligen Chef Mortoiu. Er soll auch – in einem Anflug von schriftstellerischer Solidarität – einzelne Dichter, deren Verse gerade auf dem Prüfstand der Sicherheit standen, aus der Untersuchungshaft herausgeholt haben. Mag sein.

Doch sollte man deshalb auch den verbrecherischen NS-Bonzen Hermann Göring sympathisch finden, nur weil er von den Vielen auf der „Liste zur Vernichtung im KZ“ einige Wenige gerettet hat – und dies vielleicht nur aus dem perversen Antrieb, um seine Macht voll auszukosten?

Aus solchen Überlegungen heraus verhielt ich mich Berwanger gegenüber stets reserviert, mied seinen Umgang, seine Nähe und reduzierte meine Rolle in dem weiten, losen Kreis auf die untätige Präsenz eines Statisten, der alles aus der relativen Ferne einer Ecke beobachtete und auf diese Weise seine Konsequenzen zog. Lieber im Obskuren ausharren, als mitschuldig werden an einem geistigen Verrat, der die Gesellschaft bedrohte.

Berwangers Verhalten erschien besonders dann hochgradig suspekt, wenn er, ungeachtet der Mangelgesellschaft, in der wir lebten, einem generösen Pascha gleich, im Bierkeller großzügige Bestellungen für alle aussprach und ebenso selbstgefällig wie leger die dicke Zeche beglich, aus welchen Mitteln auch immer. Entsprach das nicht einer „direkten Vereinnahmung“ junger Menschen? Einer Vorform zur Ermöglichung einer Buchproduktion? Wer konsequent war, hatte wenig Verständnis für solche Formen materiellen Bezirzens, die irgendwann in eine weitere Kollaboration münden konnten.

Wer „A“ sagte, musste später auch „B“ sagen; zunächst zur „Partei“ – und dann, das vergaßen die Dichter, auch zur „Securitate“.

Selbst die erste Stufe der Mitarbeit über Vereinnahmung und Privilegien hatte nach meiner damaligen Auffassung bereits etwas „Verräterisches“ an sich. Zahlreiche Menschen aus meinem Umfeld lehnten diese Art des unterwürfigen und speichelleckerischen Vasallentums ebenfalls ab, weil es weitgehend dafür verantwortlich war, dass die Heuchelei im Land weiterhin triumphieren und regieren konnte. Es waren die Gleichen, die es ablehnten, der „einzigen Partei“ beizutreten und die vielen daraus folgenden Konsequenzen negativer Art ertrugen.

Berwanger, der zeitweise im bescheidenen Maße literarisch aktiv war, publizierte und irgendwann, nachdem ihn seine Minderheit verlassen hatte, noch vor seinen Schützlingen in der Bundesrepublik ankam, empfand sich selbst als Mäzen und Protektor junger Dichter, selbstherrlich und freigiebig wie ein barocker Fürst im Absolutismus. Dank seiner guten Kontakte zur Partei hat er auch die Edition des einen oder andern Lyrikbändchens ermöglicht. Wer waren die Nutznießer? Eine „Handvoll Leute“ aus dem Partei-Umfeld, deren Büchlein in kleiner Auflage allesamt gedruckt wurden, die aber auch die Preise der Jungendorganisation dieser totalitären Partei einheimsten – ohne Scham, „Preise“, die später andere Preise ermöglichen sollten! Als lohnte sich die unethische System-Kollaboration doch?

Über den literaturhistorischen Wert solcher Lyrikeditionen, die kaum ein Publikum fanden, mag man diskutieren. Vielleicht glaubte Berwanger daran, so auf dem richtigen Weg zu sein und im Rahmen seiner Möglichkeiten das herauszuholen, was machbar war. Ihm und seinem Umfeld standen alle Verlagstüren im sozialistischen Rumänien offen; und er durfte sich als einer der wenigen „ein paar Zwischentöne“ erlauben wie früher der Hofnarr am Königshof, „leise Kritik“, die anderen Akteuren sicher eine Verfolgung wegen „antisozialistischer Propaganda“ und somit „einige Jahre Haft“ eingebracht hätten, ganz nach dem Motto: Quod licet Iovi … Immerhin fand ich in einigen seiner kleinen, unerheblichen Geschichtlein aus dem realsozialistischen Alltag mit satirischem Unterton mehr „Kritik“ vor, als in Herta Müllers „Niederungen“, wo nur die „deutsche Gemeinschaft“ des Banats unter Anklage stand.

Weshalb ließ Berwanger dieses Spott-Bändchen gegen das eigene Volk zu?

Weshalb förderte er es gar direkt oder indirekt?

Vielleicht um mit den rumänischen „Genossen“ aus der Kommunistischen Partei einmal genüsslich über die „dummen Deutschen“ im Land zu lachen?

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