Ein Esel im Sperrfeuer – oder :Von edlen Absichten und herben Enttäuschungen

In kurzer Zeit war mein Lenau-Buch bis nach Amerika verbreitet. Dass es dort auch Forscher erreichte und wirkte, zeigten mir nicht zuletzt die Arbeiten im Internet. Zum großen Verdruss etablierter Akademiker, deren Werke zum Teil resonanzlos versiegten, fiel mein Buch auf, wurde in Fachzeitschriften rezensiert und in der wissenschaftlichen Diskussion besprochen – kontrovers rezensiert und ebenso kontrovers diskutiert.

Damit begann auch für mich eine aufreibende Zeit vielfältiger Rückschläge, des Ärgers und der Desillusion. Als die Dinge ihren unerfreulichen Lauf nahmen, kamen Fragen auf, selbstkritische Fragen. Hatte ich mich wissenschaftlich verrannt? Hatte ich, ungeachtet edelster Absichten, Fehler gemacht? Und welche? Worin bestanden meine Intentionen – und was erreichte ich in Wirklichkeit?

War ich, nachdem ich auf dem Weg der Freiheit schon so viel erreicht hatte und eigentlich vom Schicksal gut behandelt worden war, nun in maßloser Selbstüberschätzung über das Ziel hinaus geschossen? Und hatte ich vielleicht in meinem Einsatz für Lenau hybrishaft handelnd andere beleidigt?

Die exzessiv ausgelebte Freiheit der Wissenschaft, die im euphorischen Schaffensprozess autodynamisch wirkt und kaum kontrolliert werden kann, rächte sich und wurde mir – wie es schien – kurzfristig zum Verhängnis. Bald musste ich feststellen, dass die Gesellschaft zuviel Freiheit nicht toleriert, ja bestraft.

Die akademische Kaste nahm es mir nicht nur übel, das ich in meiner Monographie gegen gängige Verhaltensnormen verstoßen hatte und mit meinem Buch frech gegen den Strom geschwommen war, indem mir der – von mir allerdings erst nachträglich eingeforderte – Doktortitel verweigert wurde.

Einige Dozenten versuchten sogar meine Publikation insgeheim zu diskreditieren mit der Absicht, meine kurzfristige Germanistikdozentur an der Universität Würzburg, die ich damals unbesoldet ausübte, ganz zu verhindern. Mein nietzscheanischer Lenau polarisierte.

Als ich im Jahr 1982 noch enthusiastisch die Arbeiten über Lenau aufgenommen hatte, in der Hoffnung, eine damals ziemlich verfahrene und lethargisch daliegende Lenauforschung durch eigene Forschungen anzukurbeln und zu neuem Leben zu erwecken, wollte ich noch hinauf zum Parnass, um den Lorbeer zu verdienen. Doch statt in den freien, erhebenden Lüften des Olymp, fand ich mich oben auf dem Galgenberg in Katakomben wieder, in siecher Luft, die nicht nur von den ungesunden Ausdünstungen des Betons stammten. Obwohl ich räumlich oben war, weit über der südländisch anmutenden Stadt mit den warmen, roten Zinnen und Auge in Auge mit der Marienfestung und der Käppele Balthasar Neumanns vis-a-vis, fand ich mich geistig unten wieder, im Sumpf, in stickigen Giftdämpfen, umgeben von Chamäleons, kleinen Drachen und Fröschen aller Art, die jeweils etwas anderes quakten. Ernüchterung kam auf –oben in den Katakomben des Galgenbergs.

Über Jahre hatte ich alles gegeben – und auf vieles verzichtet. Meine erste Frau, die, als wir noch jung und verliebt waren, einst musisch gestartet war, um dann später unbedingt als Ärztin Karriere machen zu wollen, hasste das Buch, aus Eifersucht vielleicht – wie jene Komponistengattin, die die einzige Symphonie ihres Mannes in die Glut warf, oder weil sie, wie sie es formulierte, darunter, also unter der langen Entstehung, nur gelitten hatte. Wissenschaft, gerade wenn sie eng an der Kunst angesiedelt ist, kommt oft einem Martyrium gleich und erfordert vielfachen Verzicht. Fürwahr, die Wissenschaft ist oft genauso hart wie die wahre Kunst – und beide fordern auch Opfer, auch von anderen. Dessen ungeachtet blieb ich auch im Wissenschaftlichen konsequent, vielleicht auch hart – und setzte meinen Weg durch. Dann kam der äußere Lohn für diese Haltung – als Häme.

Ohne dass es mir recht bewusst geworden wäre, stand ich plötzlich mitten in einer Intrige, in einer Schlammschlacht, in der ich von einigen Seiten aus dem Verborgenen heraus mit Schmutz beworfen wurde. Ohne einiges Hinzutun war ich – zur falschen Zeit am falschen Ort – zwischen zwei rivalisierende Wissenschaftsparteien geraten. Und, noch bevor ich richtig reagieren konnte, umgab mich – in den hehren Hallen des vornehmen Geistes – ein Berg von Kot.

Kindheitsgeschichten wurde wachgerufen. Geschichten, von denen ich nicht genau wusste, ob sie stimmten, aus einem unserer Nachbardörfer im Banat, wo die Anhänger einer Blasmusikkapelle die weißen Häuserfassaden der Musikanten des konkurrierenden Blasorchesters bei Nacht und Nebel mit Exkrementen beschmiert haben sollen. Ein plastisches Bild! Echter Naturalismus. Ein Schandfleck des Banats, kommentierten damals entrüstete Moralisten. Mir fehlten die Worte, um das zu beschreiben, was sich um mich tat, und verharrte im staunenden Schock.

Mit dem Buch war ich angetreten, um mein Idol zu retten, den genialen Dichter aus dem Banat, den Edlen Ungar mit den melancholischen Rabenfedern, dessen Wert ich in der Forschung übergangen und schlecht gewürdigt sah – und wirbelte damit etwas Staub auf.

Doch der Kampf, der inzwischen am Galgenberg ausgetragen wurde, war nicht mehr mein Kampf. In ihm stand ich nur noch zwischen den Fronten, in einer Schlacht, die bereits vor meinem Eintreten gestartet worden war. Theo Meyer, der auf seine Art eine Kämpfernatur und ein Dissident war, hatte nicht nur Freunde am Institut, sondern auch Rivalen und Neider, die es nur schwer ertragen konnten, dass in einer Vorlesung nur ein halbes Dutzend Studierende saßen und in der anderen, die ich mit organisierte und betreute, gleich mehrere hundert. Als ich dann – als die teils populäre, teils objektiv geschätzte rechte Hand Meyers – auch noch als Dozent antrat und mein Faust-Seminar sich regen Zulaufs erfreute, wurden Kräfte auf den Plan gerufen, die dies zu verhindern gedachten. Theo Meyers akademischer Ruhm, der mit der gerade edierten tausendseitigen Nietzsche-Monographie noch anschwoll, sollte nicht noch durch Hilfstruppen verstärkt werden. Über Nacht war ich – ohne etwas zu wähnen – Teil einer Intrige, die die Absicht verfolgte, meinen Lehrer zu schwächen, indem ich an der Lehre gehindert und aus dem Lehrbetrieb entfernt werden sollte. Leider mit sehr fadenscheinigen Argumenten, die noch gefunden werden mussten. Es war der Auftakt zu einer längeren Schlammschlacht, zu meiner Demontage über die Zersetzung meiner wissenschaftlichen Kompetenz und Autorität.

Was war mir vorzuwerfen? Wodurch eckte ich an? Jener Intrigant aus Meersburg hatte einst in meiner Vergangenheit gewühlt und mit wenig Fortune im fernen Banat nach verwundbaren Stellen im meiner Montur gesucht. Und war schlecht fündig geworden. Meine akademischen Gegner in Würzburg, denen ich praktisch noch nie begegnet war, suchten in der Wissenschaft selbst, in der Forschung, in der Lenauforschung nach einem Makel, nach einer Blöße. Wo konnte man da anknüpfen? Wo lagen meine Schwachpunkte? Diesmal musste es anders laufen. Während die Rivalen meines Lehrers darüber nachdachten und Strategien entwarfen, wie man mir beizukommen sei und wie meine Dozentur im Würzburg zu verhindern sei, weilte ich noch im Tal der Ahnungslosen. Hatte ich doch bisher nur meine Pflicht getan und ordentlich studiert.

Erst als die ersten Haubitzengeschosse über mein Haupt flogen, merkte ich, dass ich bereits in der Mitte des Schlachtfelds stand, wo, ohne Rücksicht auf Verluste, scharf geschossen wurde – aus der Deckung, getarnt aus dem Gebüsch. Wurde dieser Galgenberg zu meinem Waterloo?

Kapitel aus : Ost- West- Geschichten. Aus dem Tagebuch eines Andersdenkenden.

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